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Freitag, 7. Oktober 2016

Lobgereime an den Barmherzigen

Am Halt Brooklyn Bridge schob eine junge Mutter ihren Kinderwagen samt schlafendem Kind in den uptown-fahren Zug der Linie 4. Abgekämpft und müde setzte sie sich hin. Ja, so sieht man als Elternteil aus, wenn man nach einem langen Tag abends samt Nachwuchs in die New Yorker Subway steigt. Die Stirn gesenkt, die linke Hand am Kinderwagen, die rechte haelt ein Buch fest. Wer Kinderwagennutzer ist weiss, dass neben dem Kind auch noch Wechselkleidung, kleines Snacks, etwas zu trinken und Spielzeug als Ladung zu finden ist.
Sie hatte auch noch eine Gitarre dabei. Scheinbar aber ohne die Absicht in der Bahn zu spielen sondern es eher dem Kind gleichtun und ein wenig entspannen. 

Der Zug fuhr mit einem Ruck los in Richtung Union Square und aus dem Lastfach unter der Schlafkoje des Kinderwagens war ein lautes Rappeln zu hoeren. Während ich stehend durch das gesprungene Glas meines Telefons auf meine Runde Solitär blickte, zog das Geraeuch meine Aufmerksamkeit auf den Kinderwagen. Unten zwischen den Wechselklamotten sah man eine Dose die bodenbedeckend mit ein paar Münzen gefüllt war. Ein Zettel mit "Need to pay my rent." klebte dran. Mein Blick ging von der Dose aus am Kinderwagen hoch und oben in dem Fach am Schiebegriff war zudem eine Foodstamp-Karte zu erkennen. Eine Art Sozialhilfe, die aber dem Vernehmen nach nicht wirklich fuer ein Leben in NYC reicht. Und schon gar nicht fuer zwei Leben von Mutter und Kind. Offensichtlich waren die beiden also in der Gegend um die City-Hall unterwegs, um sich ein paar Dollar dazu zu verdienen und der spärlichen Füllung der Dose nach mit nur maessigem Erfolg.

Am Union Square stieg ein junger Mann ein, der sich nachdem die Türen geschlossen waren in der Mitte des Wagens aufbaute und seine Stimme erhob: "Ladies and Gentlemen..." - ach Gott, dachte ich während ich mich stumm auf mein Solitär konzentrierte, schon wieder so ein unehrenhaft entlassener Veteran, der hier ungewaschen mit seiner Lebensgeschichte nervt. Ich mag die nicht. Künstler allerdings, Musiker oder Artisten, eigentlich alle die mich irgendwie unterhalten und mir die Trostlosigkeit meines zweistündigen Wegs von und zur Arbeit etwas bunter machen, können sich in der Regel drauf verlassen, daß ich ihnen einen George Washington abtrete. Aber Prediger, ungepflegte Bettler und dergleichen eigentlich nicht. Gut, alte klapprige Öhmchens und Opis am Ender der Rolltreppe runter zur Ubahn, solche mit leeren Augen und die Dir mit zittrigen Händen einen kaum klimpernden mit Münzen bestückten Kaffeebecher entgegen halten - die erweichen von Zeit zu Zeit mein Herz. 

Aber zurück zum Union Square. Ich schaute rüber zu dem um Aufmerksamkeit buhlenden Herrn uns sah einen gut gekleideten jungen Mann, der sich als Kunststudent vorstellte und eines seiner Gedichte vortragen wollte. Nun gut, da hab ich schon echt gutes Gehört in der Ubahn - und ja, auch mit einem Dollar belohnt.

Die Show begann. Der Hobby-Poet hatte einen sehr starken Dialekt, wie man ihn zuweilen im Bezirk nördlich von Manhatten oft zu hören bekommt. Seine Poesi reimte sich wie eine schleche Rede auf einer Kappensitzung eines beliebigen Eifeldorfs. Das Werk handelte - warum wundert es mich nicht - über die unendliche Gnade des Herrn und Jesus Christus. Aber Gut, wenn seine Religion diesen Jungen bewegt, dann ist es völlig okay wenn er sie besingt oder er um sie herum dichtet. Von mir aus kann er eine Ode an "grobe Leberwurst" vortragen - wenn er das gut macht und es mich unterhält, finds ich's super. Aber der nuschelnde, reimende Nordstadt-Poet hier war einfach nur fürchterlich. Er hat sein eigenes Werk so fürchterlich emotionslos vorgetragen, dass es hier definitiv kein Geld von mir zu erwarten war. Nachdem sein holpriges Lobgereime an den Barmherzigen dann nach langen 5 Minuten endlich vorbei war, machte er sich auf den Weg durch den Wagen, seine Tantiemen einzusammeln. Scheinbar hat es noch mehrern nicht gefallen. Keiner stellte sich an von seinem Handy oder seiner Zeitung abzulassen, um das dichterische Meisterwerk zu honorieren. 

Keiner? Halt, es klimperte zu meiner linken. Die Musikfrau, die ihre Miete per Gitarre betreitet, die griff doch tatsächlich in ihre Büchse und hole ein paar Quarter raus. Sie war echt sie einzige, die dem jungen Freund etwas für seine Darbietung gegeben hat. Vermutlich ist sie auch die einzige, die wirklich nachvollziehen kann, was es bedeutet um jeden Dime kämpfen zu müssen. 

Diese Geste hat mich nachdenklich gemacht. Der Zug bog in den leichten Rechtsknick zu meinem Zielhalt Grand Central ein und die ersten Mitfahrer bewegten sich zur Tür um auf den Bahnsteig und dann nach oben zu eilen. Ich war immer noch in Gedanken bei der Musikerin und dem Gottes-Reimer und griff kurzentschlossen in die Tasche und zog meinen Geldbeutel raus. Ich glaube, ich hätter der Gittarrenmutter auch einen Zwanziger in die Sammeldose gesteckt - hatte aber nur noch 4 lumpige Dollar. Egal, für den Wurf der Scheine in ihre Mietsammeldose habe ich mir eine strahlendes Lächeln zum Wochenende erkauft und sie hat mit ihrer Geste dem glücklosen Hobbypoeten gegenüber ihren Einsatz mindestens vervierfacht. 

Hoffentlich hilft's. Ich musste heute nur auf ein Fahrbier verzichten und ich hab es gerne getan.

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